Türchen Nr.22: Das Tempusretinet und die Zeitschienen
Es war einmal in einer bitterkalten Nacht, an einem Ort, an
dem der Schnee seit Jahrzehnten unverändert
wie eine gleichmäßige, weiße,
glitzernde Decke die Landschaft einhüllte-
Halt, stopp
– sollen denn alle jetzt schon beim Lesen einnicken? Nein , natürlich
nicht! Also, das
„es war
einmal“ wird gestrichen, aber der Rest, der stimmt. Ob ich noch nie etwas vom
Klimawandel gehört habe, von den abschmelzenden Polarkappen und Gletschern, die
immer kleiner werden? Nun, eigentlich schon. Warum ich trotzdem von einem
solchen Ort erzähle? Naja, einfach
deshalb, weil es stimmt, doch, doch wahrlich!
Fragt ihr euch, was das hier wird? Sicherlich
hat der ein oder andere eine dieser öden Weihnachtsgeschichten vor Augen, die
von kleinen, eifrigen Wichteln mit
tannengrünen Jäckchen handeln oder von emsigen Elfchen, die wie verrückt
umherschwirren und dabei jede Menge Feenstaub verschütten. Gut, die Elfen gibt
es schon, aber emsig, nein, das kann man sie wirklich nicht nennen, doch dazu
später mehr. Wir waren bei der Frage
stehen geblieben, um was es sich hier handelt. Ist es eine Märchenerzählung, eine Geschichte, um Babys in den Schlaf zu lesen
oder vielleicht etwas ganz anderes? Ich würde es am ehesten als Sachtext
bezeichnen, zugegebenermaßen an einigen Stellen ein wenig subjektiv gefärbt
und vielleicht vereinzelt etwas ausschweifend , jedoch immer noch ein Sachtext.
Ich möchte euch nämlich von dem Irrtum befreien, der Weihnachtsmann sei eine
Erfindung von CocaCola. Sie mögen ja
vielleicht eines der erfolgreichsten Getränke der Welt herstellen, aber den
Weihnachtsmann, das ist dann doch eine ganz andere Nummer. Vielleicht seid ihr
auch mehr der Christkind-Typ? Ganz egal, es geht hier ums berühmte Prinzip,
denn jetzt mal ehrlich, Hand hoch! Wer glaubt noch an Santa und Co.? Dacht´ ich mir schon
fast, außer meinem Arm hat sich natürlich fast nichts bewegt und nein, ihr
Oberbesserwisser, dazu muss ich nicht jeden gesehen haben, das sagt mir mein
Bauchgefühl.
Warum ich
noch an ihn glaube? Bin ich verwirrt? Nicht mehr zurechnungsfähig? Werde ich
von andauernden Tagträumen heimgesucht? Nein, natürlich nicht (zumindest meiner
bescheidenen Meinung nach nicht). Die Erklärung ist ganz einfach: Ich war dort. Ihr wisst schon, an diesem Ort, und kann euch sagen, vieles ist anders, aber es
gibt den Weihnachtsmann nichtsdestotrotz. In einem großen, verschneiten
Dörfchen werden die Geschenke liebevoll
zugeschnürt und von großen brummigen Eisbären nach Kontinenten sortiert, jaja,
alles nur Blabla. In Wahrheit gibt’s dort keine Eisbären, welcher Eisbär würde denn
bitte Geschenke sortieren und mit glänzenden Augen ganz berührt ein Päckchen
nach dem anderen vorsichtig für Tina, Mareike, Finn, Charlie und wie die ganzen Kinder nicht alle heißen, vorbereiten?
Was für eine absurde Idee.
Wer denn dann diese Arbeit erledigt? Kleine Gnome.
Sie sind immer fürchterlich hektisch und wahnsinnig beschäftigt. Wenn ihr also
etwas braucht oder fragen wollt, vergesst es. Sie werden euch gar nicht erst
beachten, sondern umgehend weiterhuschen, immer ihre kleine Taschenuhr im Blick. Tja, sie sind
eben etwas altmodisch und tragen diese Dinger ständig an ihrer Hose mit sich herum. Wenn ich
hunderte von Jahren alt wäre, würde ich mich vermutlich auch nicht mehr ganz
dem Geist der Zeit entsprechend verhalten.
Doch nicht alle Kinder bekommen von
ihnen Geschenke, wo kämen wir denn hin, wenn sich alle benehmen könnten wie sie
wollen. Aber was tatsächlich nicht der Wahrheit entspricht, ist das berüchtigte zweimalige Überprüfen der
Artig-Unartig-Liste. (Überhaupt heißt es eigentlich politisch korrekt
Sehr-nett-und- vielleicht-in-manchen-Fällen-nicht-ganz-so-nett-Liste.) Jedenfalls kann es so schon mal passieren,
dass ein Tunichtgut auch etwas abbekommt. Also wundert euch nicht wenn der
kleine Rotzlöffel von nebenan triumphierend grinsend auch ein Päckchen in der
Hand hält, er ist schlichtweg aus Versehen durchgerutscht. Die Mehrzahl
derjenigen, die sich zu oft daneben benommen haben, bekommen jedoch nichts. Ihr könnt sie ganz leicht dadurch identifizieren,
dass sie am allerlautesten und aus
voller Überzeugung auf dem Nichtexistieren des Weihnachtsmannes beharren.
Ich würde das auch herumposaunen, wenn unter meinem Tannenbaum gähnende
Leere geherrscht hätte.
Meistens haben die Eltern dann aber Mitleid und stellen
eben doch etwas dazu, weshalb die meisten nicht komplett ohne Geschenke
dastehen. Um auf das Kontrollieren der Liste zurückzukommen: Wieso wird sie nicht
einfach nochmal durchgeschaut?
Nun, der Weihnachtsmann hat seine Zeit eben auch
nicht gestohlen, insbesondere nicht zur Weihnachtshochsaison, die für ihn übrigens
bereits im September beginnt. Wobei, nebenbei bemerkt, die Läden bei uns ja auch
schon um diese Zeit ihre Lebkuchen an den Mann bringen wollen. Aber gut. Wo wir
gerade beim Thema Zeit angelangt sind. Hier liegt das größte Problem der
Weihnachtsmannskeptiker:
Wie soll ein Mann es schaffen in einer Nacht alle
Kinder zu besuchen
So, jetzt passt mal gut auf, all ihr Rational-Denker, fantasielosen
Weihnachtsstimmung-Verleugner, und
Notorisch-alles-Anzweifler. Euer bestes Argument ist nämlich überhaupt ganz und
gar nicht so gut wie ihr selbst glaubt. Denn es gibt tatsächlich eine Erklärung für das Ganze. Punkt Eins: Nicht alle Kinder auf der Welt feiern die
Bescherung am selben Abend, siehe Zeitverschiebung oder Weihnachtstraditionen.
Ihr kennt doch sicherlich diese Momente, wenn die Zeit plötzlich viel
langsamer vergeht, die Stunden nicht enden wollen, jede Uhr uns hämisch entgegen zu blicken
scheint und ihre Zeiger extra langsam bewegt. Natürlich geschieht das nicht aus
Boshaftigkeit der Uhren, was ihnen durchaus zuzutrauen wäre, sondern die Elfen sind dafür verantwortlich. Denn jedes Mal wenn das passiert, wird
Zeit umgeleitet. Diese Zeit, die eurem Gefühl nach eigentlich schon lange vergangen
sein müsste, wird von ihnen aufgefangen und gespeichert, in einem riesigen Zeitbehälter, dem so genannten Tempusretinet.
Am Weihnachtsabend dann kann der Weihnachtsmann
darauf zugreifen und in der aufgestauten Zeit all die Geschenke ausliefern,
während es uns so scheint, als verliefen die Stunden ganz normal. Es
entstehen sozusagen zwei parallele Zeitschienen. Die eine läuft einfach genauso
wie unsere Zeit eben vergeht, während man in der anderen einen größeren
Zeitvorrat hat und somit schlichtweg mehr erledigen kann. Nun werdet ihr euch
sicherlich fragen, was denn mit den Momenten sein mag, in denen die Zeit nicht
langsamer, sondern viel schneller vergeht, in denen sie uns förmlich davonrast
und wir nicht wissen, was wir denn nun eigentlich so lange gemacht haben. Naja,
wie eben schon zu Beginn erwähnt, sind Elfen nicht ganz so emsig, wie es ihnen
gerne angedichtet wird und manchmal sind sie auch nicht sonderlich kompetent.
So kommt es schon mal vor, dass der Deckel des Tempusretinet nicht richtig
verschlossen bleibt oder die falschen Schalter umgelegt werden. Dann fließt
angestaute Zeit daraus in unsere Zeitschiene, die dafür aber eben nicht
ausgelegt ist und zu spinnen anfängt.
Daher kommt auch das Déjà-vu, von wegen
psychologisches Phänomen. Die Zeit wird einfach zu schnell vorgespult, da so
eine überforderte Zeitschiene eben nicht mehr wahrhaft koordiniert ist. Dann,
um es wieder auszugleichen , versucht sie alles ein Stück zurückzudrehen. Wir
haben aber natürlich das Ganze schon erlebt und sehen nun genau das Gleiche
noch einmal. Wie in einem Film, bei dem man nur die Werbung überspringen
wollte, die Playtaste nicht mehr findet und munter weiterspult, bis wir erleben
müssen wie unser Lieblingsheld stirbt. Klar, dass man nochmal zurückspult, um
die Handlung in normaler Geschwindigkeit zu sehen.
Was jetzt noch fraglich bleibt, ist die Sache mit den
Rentieren. Wenn ich euch nun sage, dass es diese nicht gibt, um mir die
Erklärung zu ersparen, wäre Comet tödlich beleidigt mit mir, zu Recht! Nun gut,
das Geheimnis der Rentiere liegt eigentlich schon im Wort. Nur, dass ein paar
Schlauberger irgendwann begannen, dieses Wort falsch zu schreiben und nun von jedem zweiten
die dämliche Frage kommt, wie sie denn fliegen sollen. Es hieß nämlich
ursprünglich Renntiere, ja ganz genau mit doppeltem N. Und zwar deshalb, weil
sie beim Start ihres Fluges so derartig schnell rennen, dass sich dieser Flugzeug-Effekt ergibt. Ihr wisst schon, dort fließt die Luft schneller als hier, Sog,
Auftrieb, das ganze Programm. Der Schlitten ist nämlich ganz speziell geformt
und ziemlich ausgeklügelt, damit die Sache auch so funktioniert.
Das war eigentlich auch schon
alles, denn wenn die Renntiere sich erst einmal in die Lüfte erhoben haben und
engelsgleich dahinschweben (nagut, vielleicht mehr oder weniger engelsgleich),
wird es verhältnismäßig unspektakulär. Die Zeitschienen, die ich euch bereits erklärt
habe, kann man, wenn man genau genug hinschaut, manchmal sogar am Himmel erkennen.
Sie durchziehen ihn wie ein Netz, denn
es gibt selbstverständlich nicht nur die beiden, die vorhin genannt wurden, aber
es soll hier ja nicht zu kompliziert werden.
(Nur ein kleiner Tipp am Rande: Schon mal nachgeschaut wie Nordlichter entstehen? Man bekommt eine fürchterlich wissenschaftliche Erklärung, von
der jeder behauptet, sie total verstanden zu haben. Eigentlich will man dadurch
jedoch nur einen möglichst intelligenten
Eindruck machen, obwohl man nicht ganz durchblickt, welches Sonnenteilchen nun mit welchem zusammenprallt und dann urplötzlich
nicht mehr sonnengelb sondern grün strahlt. Aber genau das ist auch kein
Wunder, denn in Wahrheit wollten die Wissenschaftler nur verhindern, dass
jemand hinter die Zeitschienen-Sache kommt und haben eine mehr oder weniger
gelungene Erklärung zusammengeschustert.) Fakt ist: An den Übergängen von einer
Schiene zur nächsten werden die
Luftteilchen komprimiert und so stark zusammengequetscht, dass sich eine Art
Feststoff bildet. Diesen benutzen die Renntiere als Weg und ziehen den Schlitten darauf entlang. Ja,
zugegebenermaßen schweben sie eigentlich nicht einmal engelsgleich,
sondern laufen einfach dahin.
Und das alles ermöglicht dem Weihnachtsmann sämtliche Geschenke abzuliefern und rechtzeitig alles zu erledigen.
Ob ihr mir nun glaubt oder nicht ist euch überlassen. Nennt mich von mir aus eine Spinnerin, eine fantasierende Weihnachtsverrückte, mir ganz gleich. Ich weiß, wie es ist, habe es euch nun mitgeteilt und wünsche somit allen ein frohes Fest!
Bildquellen:
https://pixabay.com/de/weihnachten-hintergrund-1876438/
https://pixabay.com/de/uhr-wanduhr-zeit-alte-zahlen-1274699/
https://pixabay.com/de/gletscher-aurora-aurora-borealis-1190254/
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