Ein halbes Jahr in Neuseeland

Von Jakob Gottschalk


Vielen Schülern stellt sich bereits während der Schulzeit einmal die Frage, ob sie einige Monate als Austauschschüler im Ausland verbringen möchten, und auch diejenigen, die auf das Ende ihrer Schulzeit und den Beginn eines neuen Lebensabschnitts zusteuern, sind früher oder später mit der Frage konfrontiert, ob sie nach der Schule direkt an die Universität gehen möchten, oder ob sie, bevor es mit dem Lernen fleißig weitergeht, diese einmalige Gelegenheit nutzen wollen, um konkrete Erfahrungen außerhalb des Klassenzimmers oder dem Hörsaal zu sammeln, beispielsweise in Form eines Auslandsaufenthalts oder eines Freiwilligen Sozialen Jahres.
Einmalig ist die Zeit zwischen Schule und Universität – oder anderen Ausbildungswegen – deshalb, weil nicht nur die G8-Jahrgänge dieses Zeitfenster, das in vielerlei Hinsicht eine Übergangszeit darstellt; hin zum Erwachsenenleben, hin zur Berufswelt, nutzen können, um sich persönlich weiterzuentwickeln und wertvolle Erfahrungen „aus dem echten Leben“ zu sammeln und damit die Möglichkeit zu haben, neue Blickwinkel zu gewinnen; sowohl auf sich selbst, als auch auf die eigene Umwelt.
Ich persönlich war mir lange vor dem Ende meiner Schulzeit im Klaren darüber, dass ich einmal solche Erfahrungen sammeln möchte, bevor ein gänzlich neuer und richtungsweisender Abschnitt mit dem Universitätsleben beginnt. Außerdem war es mir dabei immer wichtig, einmal die gewohnte Umgebung, die Heimat zu verlassen und einen Schritt hinaus in die Welt zu wagen, hinaus in die Großstadt, wo sich das Leben zum Teil in anderen Formen ereignet als auf dem Dorf.
So grundlegend und tiefsinnig die Überlegungen anmuten mögen, die hinter einem Auslandsaufenthalt stecken können, so praktisch und alltagsbezogen sind bereits die ersten Schritte, die unternommen werden müssen, wenn es schließlich an die tatsächliche Organisation geht: Die erste Frage, die sich den meisten dabei stellt, ist natürlich die, in welchem Land sie überhaupt Erfahrungen sammeln möchten. Beliebt sind aufgrund der vorteilhaften Sprachsituation selbstverständlich die englischsprachigen Länder; die USA, Kanada, Großbritannien, Australien oder Neuseeland, aber auch andere Möglichkeiten wie lateinamerikanische und auch afrikanische Länder werden unter jungen Menschen immer beliebter.
Neuseeland erscheint vielen insbesondere deswegen attraktiv, weil es einerseits das Land auf dem Planeten ist, das am weitesten entfernt von Deutschland liegt, spektakuläre Landschaften und die fremdartige Maorikultur bietet, und andererseits als sehr sicher und weltoffen gilt. Aus diesen Gründen habe auch ich mich für Neuseeland entschieden, das mir bereits zwei Freunde, die während ihrer Schulzeit dort waren, empfohlen haben.
Im nächsten Schritt habe ich mich um ein sogenanntes „Working Holiday Visa“ beworben, das einem einen einjährigen Aufenthalt im Land erlaubt und äußerst einfach und vergleichsweise unbürokratisch online beantragt werden kann. Keine Sorge: Dieses neuseeländische Visum ist wirklich sehr unkompliziert zu erlangen, es stellt keine besonderen Bedingungen an die Bewerber (abgesehen von Straffreiheit natürlich!) und es müssen auch keine Interviews geführt werden, wie es zum Beispiel der Fall sein kann, wenn man ein ähnliches Visum für die Vereinigten Staaten erlangen möchte – auch dieser Punkt spricht also für Neuseeland!
Bei einem Auslandsaufenthalt geht es darüber hinaus auch darum, welches Konzept dahinter stehen soll – das Prinzip „Work and Travel“, bei dem man abwechselnd Geld verdient (beispielsweise durch Farmarbeiten) und das Land bereist, eine reine Sprachreise oder doch lieber ein Praktikum? In diesem Zusammenhang steht vor allem auch die Frage, ob man den Aufenthalt vollkommen eigenständig organisiert und auf diese Weise Geld spart, oder ob man in Zusammenarbeit mit einer auf Auslandsreisen spezialisierten Organisation plant und damit bereits einen Vermittler für Sprachschulen und Praktikastellen sowie auch später vor Ort einmal einen jederzeit erreichbaren Ansprechpartner hat.
Ich habe mich in diesem Punkt für den Anbieter „GLS Sprachenzentrum“ entschieden, der Auslandspraktika in Kombination mit dem Besuch einer Sprachschule anbietet und den ich an dieser Stelle auch weiterempfehlen kann. Im Internet finden sich natürlich noch einige weitere Organisationen, die ähnliche Modelle im Angebot haben, und es ist an dieser Stelle immer ratsam, bereits im Vorfeld eigene Recherchen zu betreiben, Erfahrungsberichte zu lesen und eine Entscheidung zu treffen, die sich an den eigenen Interessen ausrichtet!
In meinem Fall ging es mir vordergründig darum, Erfahrungen über ein Praktikum zu machen; das bedeutet, einmal in einem Berufsfeld zu arbeiten, das einen im Optimalfall auch für das spätere Leben interessiert. Der Unterschied zu „Work and Travel“ besteht hierbei darin, dass das Praktikum eine längere Tätigkeit bedeutet, die jedoch in den meisten Fällen unbezahlt ist und deren Hauptziel im Sammeln praktischer Erfahrungen liegt, während es bei „Work and Travel“ vor allem darum geht, über einfache, eher unspannendere Tätigkeiten Geld zu verdienen, um reisen zu können.
In Neuseeland konzentrieren sich die meisten Angebote und Praktikastellen auf die Städte Auckland und Wellington, wobei Wellington die Hauptstadt ist, Auckland jedoch deutlich größer ist und circa 1,7 Millionen Einwohner hat. Meine Wahl fiel auf Auckland, dass direkt am Meer liegt (oftmals auch „City of Sails“ genannt) und einen internationalen Flair versprüht. Um die Stadt herum liegt eine Vielzahl an Inseln und Stränden, die über Fähren erreichbar sind und somit jedes Wochenende ein passendes Ausflugsziel bieten!
Auckland bei Sonnenuntergang

Bei der Unterkunft stellt sich oftmals die Wahl zwischen einer Gastfamilie und einem Hostel oder einer Wohngemeinschaft. An dieser Stelle muss jeder für sich abwägen, inwiefern er oder sie eher die Sicherheit einer Gastfamilie oder die Unabhängigkeit und Eigenverantwortung eines Hostels bevorzugt. Ich habe mich für ein Hostel entschieden, wo ich ein eigenes Zimmer zur Verfügung hatte, während Einrichtungen wie Küchen und Bäder gemeinschaftlich genutzt wurden. Sowohl die Gastfamilien als auch das Hostel wurden von meiner Organisation angeboten und kontrolliert; man kann insofern auf jeden Fall von sauberen und sicheren Einrichtungen ausgehen, sollte allerdings auch keine Luxuspaläste erwarten! Vorteilhaft an Hostels gegenüber Gastfamilien ist die zumeist sehr zentrale Lage; in meinem Fall war ich in etwa fünf Minuten zu Fuß im Stadtzentrum.
Bei dem Anbieter GLS Sprachenzentrum besteht der erste Teil des Auslandsaufenthalts in dem Besuch eines Sprachkurses, der all denen, die sich in ihrem Englisch nicht vollständig sicher fühlen, die Möglichkeit bietet, ihre Sprachkenntnisse aufzufrischen. Überhaupt lernt man auf diese Weise sehr schnell und unkompliziert neue Leute aus aller Welt kennen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden und noch etwas fremd im neuen Land sind. Nach meiner Erfahrung lohnt sich ein solcher Sprachkurs wirklich für jeden; auch für diejenigen, die bereits ein sehr gutes Englisch sprechen, da man gleich am ersten Tag neue Kontakte knüpfen kann, darüber hinaus hat die Sprachschule auch außerhalb des Unterrichts eine Vielzahl an Aktivitäten und Ausflügen angeboten, an denen man freiwillig teilnehmen konnte, zum Beispiel jeden Mittwoch eine „Pub Night“, Bowlingspielen, Fußball und Rugby und auch Museumsbesuche – es waren also verschiedene Geschmäcker angesprochen!
Für mein Praktikum habe ich mich bereits länger im Vorfeld mit der Organisation ausgetauscht, die einem verschiedene Branchen anbietet und mit Partnerstellen vor Ort vernetzt ist. Das bedeutet auch, dass man ein echtes Motivationsschreiben und einen Lebenslauf verfasst – was eine nützliche Übung für die Berufswelt ist – und auch im Voraus ein Interview über Skype führt, das den Partnern vor Ort einen Eindruck vermittelt und die Arbeit erleichtert. Gegebenenfalls können auch Empfehlungsschreiben Dritter angefragt werden – hier bietet es sich natürlich an, ehemalige Lehrer anzuschreiben ;)
Die meisten Praktika, die Abiturienten absolvieren, verteilen sich dabei auf die Bereiche Tourismus, Bürojobs und Bildung. Ich persönlich habe mich am stärksten für den Bereich Bildung interessiert und eine Praktikumsstelle an einer neuseeländischen „Intermediate School“ vermittelt bekommen, wo Schüler der 7. und 8. Klasse unterrichtet werden. Die erste Woche verlief jedoch gleich völlig anders als erwartet – einige Lehrer sind mit ihren Achtklässlern eine Woche lang in ein Naturressort gefahren, wozu man auch mich und zwei andere Praktikantinnen eingeladen hatte. Statt normalen Unterricht standen somit zunächst einmal Aktivitäten wie Kajakfahren, „Animal Survival“ und Zelten in freier Natur auf dem Plan – das ist nur ein Beispiel dafür, dass ein Auslandsaufenthalt niemals exakt so verläuft, wie man es sich zuvor vorgestellt hatte, und im Gegensatz immerzu die eine oder andere positive Überraschung bereithält!
Im Unterricht bestand meine Aufgabe dann vor allem darin, den Schülern bei Schwierigkeiten zur Seite zu stehen, die Lehrerin zu entlasten und auch eigene Unterrichtsstunden abzuhalten. Da sich das neuseeländische Schulsystem doch in einigen Punkten vom deutschen unterscheidet (im Guten wie auch im Schlechten!) war auch die Abwechslung groß – von der Arbeit mit 3D-Druckern über einen wöchentlichen „Day Talent“, an dem die Schüler einmal gänzlich verschiedenen, selbstständig ausgewählten Tätigkeiten nachgehen konnten, bis hin zu Deutschstunden – ja, auch am anderen Ende der Welt finden in der Schule Deutschstunden statt!
Grundsätzlich sei an dieser Stelle gesagt, dass die Neuseeländer wirklich äußerst freundliche und aufgeschlossene Menschen sind – ich hatte von Anfang an keine Probleme, mich an der Schule einzufinden und wurde vom gesamten Lehrerpersonal freundlich und respektvoll behandelt. All das hat dazu geführt, dass ich eine sehr angenehme und wertvolle Zeit erlebt habe; insbesondere deshalb, weil es mir möglich war, einmal eine andere Kultur, eine andere Art von Unterricht und die tägliche Zusammenarbeit mit Menschen zu erleben. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine derartige Erfahrung jedem dabei hilft, seinen Horizont zu erweitern und sich charakterlich weiterzuentwickeln. Das Praktikum hat allerdings natürlich auch nicht zuletzt deswegen Spaß gemacht, weil man schon vom Lehrerzimmer einen wunderschönen Blick auf das Meer hatte und nach der Schule in etwa fünf Minuten am Strand war ;)

Einen Auslandsaufenthalt kann ich daher prinzipiell jedem empfehlen, der Lust darauf hat, während oder nach der Schule einmal die gewohnte Umgebung zu verlassen und größtenteils auf sich allein gestellt in eine andere Welt abzutauchen. Das erfordert Mut, hält allerdings eine ganze Menge Belohnungen bereit, die einen in teils unvorhergesehener Weise weiterbringen – das fängt bereits damit an, nach der Rückkehr auch die Heimat und das Vertraute, von dem man gerne meint, schon alles gesehen zu haben, plötzlich mit anderen Augen zu erleben und auf eine völlig neue Art und Weise wertschätzen zu können. Dieser Tage hört man schließlich oft, dass das Zusammenleben verschiedener Menschen und Kulturen nicht funktionieren kann – und was könnte es da Besseres geben, als sich einmal vor Ort vom Gegenteil zu überzeugen?
 


In Neuseeland gibt es viele exotische Pflanzen zu beobachten



Auch bekannt aus "Der Hobbit" ;)

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