365 Tage



Seit ich denken kann hatte ich einen geregelten Alltag. Von klein auf sagte Mama wo es lang geht, dann half der Staat mit der Schulpflicht nach. Die mag ich zwar hin und wieder angezweifelt haben, aber doch irgendwie nie so ernsthaft, war es doch mein Lebensinhalt. Bis dieses sichere Gerüst ins Wanken gebracht wurde mit einer simplen Frage: „Und, was machst du nach der Schule?“ Das große Ende rückt näher und damit muss die komplette Zukunft gesichert sein – denkt man. Und das ist der Fehler. Nicht alles muss bis zur Rente durchgeplant sein! Mir jedenfalls haben die nächsten 365 Tage gereicht und das war auch gut so.


Ich lebe seit nun mehr als acht Monaten im Norden Ghanas und genieße die Sonnenstrahlen. Als Volontärin bin ich mit meinem Mitfreiwilligen Niklas Teil des „Orphans and Vulnerable Children Center“ in Jirapa, gemeinsam mit Mama Bibiana und 24 Kindern. Hier kümmere ich mich vor allem um Organisatorisches, wie die Ausgabe von Schulmaterialien, und um die gesundheitliche Versorgung. Mein Hausmittel „Kamillentee“ ist dabei von meinen Kindern wirklich gefürchtet!

Morgens unterrichte ich dreimal wöchentlich Moses, einen geistig behinderten Jungen aus Jirapa. Es geht vor allem darum ihn geistig zu fördern, etwa mit Zahlen- und Wortspielen. Der Unterricht wird nie langweilig, da ich mir überlegen muss was er lernen soll und wie ich ihm das abwechslungsreich beibringe. Einer meiner schönsten Momente dieses Jahr war, als er nach einer Stunde das erste Mal „bareka“ gesagt hat – Danke auf Dagaare, der lokalen Sprache.

Die Nachmittage bin ich dann ganz für die Kinder da. Spielen, Hausaufgaben machen und Lesen üben, oder gemeinsam Früchte pflücken gehen. Der Papayabaum hinter und die Mangobäume vor unserem Haus sind aber inzwischen alle hoffnungslos abgeerntet worden. Ghanaische Früchte schmecken auch wirklich einfach zu gut! Der Nachmittag ist für die Kinder aber auch mit strikten Aufgaben gefüllt die jeder zu erledigen hat. Nur so funktioniert das Zusammenleben, das Waisenhaus ernährt sich nämlich zu einem Großteil selbst.

Montags und donnerstags sitze ich dann mit Niklas selbst im Klassenzimmer, wir haben einen Dagaarelehrer gefunden der uns unterrichtet. Unsere Kinder finden es ziemlich witzig, dass auch wir Klassenarbeiten schreiben und lernen müssen. Die Dagaaba haben für ein Wort, z.B. „sae“ nicht nur eine, sondern bis zu sieben Bedeutungen und unterscheiden das entweder durch die Aussprache oder schlicht und einfach den Kontext des Satzes.

Das Ghanaische Schulsystem ist in drei Terms aufgeteilt, der Erste endete kurz vor Weihnachten. Fast alle sind dann über die Ferien zu Verwandten nach Hause gegangen. Schon die Vorweihnachtszeit haben wir gemeinsam gestaltet mit Weihnachtsliedern, einer selbstgebauten Krippe und einem Weihnachtsbaum. Neujahr wird hier jedoch noch größer gefeiert als Weihnachten und ich habe es richtig genossen, ghanaisches Silvester ist voller Freude, Mut und Hoffnung und die Neujahrstage fühlen sich magisch an.

Im Februar hatten wir ein Zwischenseminar, bei dem wir Erfahrungen reflektiert, genauso wie uns auf die nächste Hälfte des Jahres vorbereitet und Ideen ausgetauscht haben. Zu Ostern haben wir dann unseren Weihnachtsbaum ausgegraben, diesmal aber geschmückt mit bemalten Ostereiern. Die Eier wurden dann zu einem riesen Stapel Waffeln verarbeitet.

Mit dem Ende der letzten Ferien fiel der Startschuss für den letzten Term. Dieser wird geprägt von der Regenzeit in der alle helfen werden, die umliegenden Felder zu farmen. Im Mai haben wir mit den Kindern einen Ausflug an einen Fluss gemacht, bevor dieser zu viel Wasser hat und sind baden gegangen. Die Kinder hatten unglaublich Spaß, obwohl sie nicht schwimmen können und es war für sie eine große Besonderheit. Durch den Regen kommen aber auch Moskitos wieder, somit steigt die Malariagefahr. Ganz verhindern lässt sich das bei unseren Kindern nicht, aber durch neue Moskitonetze sind sie jetzt zumindest nachts gut geschützt.

Ich merke selbst wie sehr ich mich verändert habe und wie dieses Jahr mich prägt. Meine Kinder sind mir unglaublich ans Herz gewachsen und auch die Kultur, die ich Schritt für Schritt kennenlerne und an die ich mich anpasse. Ghanaische Gelassenheit ist etwas wovon ich mir eine Scheibe abschneiden konnte. Ein kompletter Gegensatz zur deutschen Lebensweise die ich wahrscheinlich nie vollständig ablegen werde, aber zumindest teilweise.

Manchmal zweifelt man an den eigenen Fähigkeiten, hat man ja doch gerade erst die Schule beendet. Aber aus Erfahrung weiß ich nun, dass man trotzdem vieles bewirken kann, auch wenn man in manchen Situationen unerfahren und hilflos sein mag. Unsere Organisation Kinderhilfe Westafrika e.V. hat uns Wasserfilter mitgegeben die wir zu Anfang installiert haben, seitdem haben unsere Kinder sauberes Trinkwasser. Da unsere Kids sich beim Duschen erkältet haben und kaum Privatsphäre hatten, haben wir über ihren Duschbereich ein Dach gebaut. Momentan überlegen wir, wie wir die Schulküche wieder zum Laufen bekommen. Aber es geht vor allem um die Liebe und Aufmerksamkeit die unsere Kinder von uns bekommen. Kuscheln, Zeit miteinander verbringen, dafür sind wir da und wir können in den Leben unserer Kinder wichtige Grundsteine legen.

Jeder der sich eine solche Arbeit vorstellen kann dem rate ich, nicht bis zur Rente planen zu wollen. Plant das kommende Jahr, das reicht! Währenddessen könnt ihr euch genug Gedanken über danach machen. Und was ich im nächsten Jahr mache ? Weitere 365 Tage lang in Ghana mit meinen Kindern in Mangobäume klettern. Der Gedanke hier im August alles hinter mir zu lassen ist für mich unvorstellbar. Ich möchte weiterhin hier leben und arbeiten, also habe ich mein FSJ verlängert.

Dieses wird generell vom Staat bezuschusst, er übernimmt 75 % des Gesamten. Die anderen 25% jedoch sollen idealerweise durch den Freiwilligen mittels Spenden gesammelt werden. Falls jemand meine Arbeit unterstützen möchte, kann er das also gerne machen:

Kinderhilfe Westafrika e. V.
Sparkasse Gera-Greiz
IBAN: DE03 8305 0000 0000 6521 64
BIC: HELADEF1GER

Verwendungszweck: Maria Winkler/ Waisenheim Jirapa, Name Spender + Adresse

Ich bin für jede Hilfe dankbar und würde mich freuen, wenn sich unter euch die Nachfolger für meine Einsatzstelle befinden.



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